Vredener Festbuch (1952)

Ein Auszug aus dem Festbuch der Stadt Vreden verdeutlicht die Situation der Landwirtschaft im Jahre 1952 aus der Sicht des Landwirtschaftsrates Jansen:

Die Landwirtschaft der Vredener Lande
Warmwasserbadeanstalt

Die Veränderungen und Wandlungen in der Landwirtschaft sind äu�erlich nicht so eindrucksvoll wie die auf dem Gebiete der gewerblichen Produktion. Der Landwirt kann seine Arbeit nicht in dem Sinne rationalisieren wie die Industrie. Er ist von den elementaren �u�erungen der Natur unmittelbar abhängig, von Regen und Sonne. von den geheimnisvollen Kräften des organischen Wachstums. Das raschere Tempo des industriellen Umwandlungsprozesses lä�t daher häufig das langsamere der Landwirtschaft als Stillstand erscheinen. Und dennoch hat unsere Landwirtschaft und nicht zuletzt die heimische im Laufe der letzten hundert Jahre Umwälzungen erlebt wie nie zuvor in der Geschichte Vredens. Diese Wandlungen haben sie in allen ihren Lebensäu�erungen getroffen. Hier sollen jedoch nur einige herausgestellt werden. die besonders deutlich in die Erscheinung treten.
Die Gemeinde Ammeloe, die grö�te Landgemeinde unseres Kreises, umfa�t eine Gesamtfläche von 12307 ha, die Stadtgemeinde Vreden 332 ha. Beide Gemeinden zählen z. Z. ca. 730 landwirtschaftliche Betriebe.
Abgesehen von ein paar grö�eren Betrieben ist der mittelbäuerliche Betrieb vorherrschend. Die Familien sitzen seit Jahrhunderten auf der von den Vorfahren ererbten Scholle. Ja, sogar Pächter können den Nachweis erbringen, da� ihre Familien seit Generationen auf den Höfen heimisch sind. Die für die allgemeine Volkswirtschaft günstige Verteilung des Grund und Bodens und die stete Erhaltung der Höfe und der kleineren Bauernstellen ist in erster Linie der althergebrachten Erbfolge zu verdanken, dann aber auch dem zähen Flei� und dem Streben, den ererbten Besitz den Nachkommen ungeschmälert weiter zu geben.
Durch die Aufteilung der Allmende in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts waren die Höfe zum Teil beträchtlich vergrö�ert worden. Allerdings war der Zuwachs in erster Linie �d- und Unland. Nach einem Aktenvermerk, den ich vor Jahren beim Katasteramt Vreden vorfand, waren bei der Einrichtung des Katasters im Jahre 1861 noch 70 Prozent des Grund und Bodens in der Gemeinde Ammeloe Heide und �dland. Diese �dlandflächen sind heute bis auf einige kleinere Splitterparzellen und bis auf eine geschlossene Moorfläche, die vor einigen Jahren zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, verschwunden, und jetzt grasen dort stattliche Viehherden, wo früher Birkhähne balzten. Durch das so in friedlicher Arbeit gewonnene Neuland konnten neue Existenzen gegründet und die bestehenden Höfe erheblich vergrö�ert werden.
Mit der Vergrö�erung der landwirtschaftlichen Nutzfläche und der dadurch bedingten Vermehrung des lebenden und toten Inventars ging auch die Vergrö�erung und Verbesserung der Gebäude Hand in Hand, wobei an dem Stile des ursprünglichen altsächsischen Bauernhauses festgehalten wurde.
Auch die Wegeverhältnisse sind in der Gemeinde mustergültig dank des Einsatzes des Gemeindedirektors.

Wassermühlentor

Die für den Wegebau erforderlichen Mittel wurden hauptsächlich durch freiwillige Beiträge seitens der Beteiligten bereit gestellt und die Arbeiten selbst durch Hand- und Spanndienste gefördert.
Es darf jedoch nicht verkannt werden, da� die oben erwähnten Kultivierungsarbeiten erst durch das Aufkommen und durch die Anwendung des Kunstdüngers ermöglicht wurden, denn nur durch zähe Arbeit und durch die Aufwendung beträchtlicher Düngermengen können befriedigende Erträge erzielt werden.
Da die neu kultivierten Flächen nicht selten unter stauender Nässe leiden, war in vielen Fällen eine durchgreifende Entwässerung notwendig. Dank der Initiative des früheren Landrats und jetzigen Oberkreisdirektors Sümmermann sind hier in den letzten 25 Jahren vier Wasser- und Bodenverbände (früher Entwässerungsgenossenschaften genannt) entstanden. Die Wasser- und Bodenverbände "Köckelwicker Feld", "Gaxeler Feld" und "Krosewicker Feld" wurden bereits vor dem Kriege fertig, während die Arbeiten in dem Verband "Entgör" erst im Kriege abgeschlossen werden konnten. Gerade in dem letztgenannten Verband sind Flächen der landwirtschaftlichen Nutzung erschlossen worden, deren Kultivierung man früher für unmöglich gehalten hatte.
Da die Gemeinde Ammeloe keine Bodenschätze birgt, ist die land- und forstwirtschaftliche Nutzung des Bodens fast die einzige Erwerbsquelle der Bewohner. Allerdings hat die forstwirtschaftliche Nutzung eine untergeordnete Bedeutung, weil im allgemeinen nur die minderwertigen Böden aufgeforstet wurden. Die Holzbestände und die Holzqualitäten lassen daher zu wünschen übrig. Von der landwirtschaftlich genutzten Fläche nimmt das Ackerland etwa 35-40 Prozent und das Grünland 60-65 Prozent ein. Der Grö�e des Grünlandes entsprechend steht auch die Viehhaltung von jeher im Vordergrund. Die verhältnismä�ig starke Viehhaltung ist notwendig, um den für das humusarme Ackerland erforderlichen Stallmist zu erzeugen. Andererseits liegen auch die bei der Markenteilung erworbenen Grundstücke vielfach so weit vom Hofe, da� sie nur als Grünland benutzt werden.
Zweifellos nimmt die Rindviehhaltung in unserer heimischen Tierzucht die erste Stelle ein. In Zusammenarbeit mit dem Rinderstammbuch der Rotbuntzüchter in Münster sind unsere Züchter seit Jahren bemüht, durch Aufstellung guter Vatertiere auf genossenschaftlicher Grundlage und durch die Ausmerzung der leistungsschwachen Tiere die Zucht auch qualitätsmä�ig zu verbessern. Die in regelmä�igen Abständen stattfindenden Kreis- und Bezirkstierschauen zeigen, da� die Mühen und Aufwendungen nicht vergebens gebracht wurden, und da� die Rindviehzucht der Vredener Lande im Kreise mit an erster Stelle steht. Auch die Zuchtviehversteigerungen in Münster werden regelmä�ig von unseren Züchtern mit gutem Erfolg beschickt. Zur Zeit sind dem Rinderstammbuch in Münster 89 Betriebe angeschlossen.
Trotz der den Westfalen nachgerühmten Liebe zum Pferde ist die Pferdehaltung in den letzten Jahren infolge des Treckereinsatzes erheblich zurückgegangen, sehr zum Leidwesen aller Pferdeliebhaber.

Widukindstadion

Es liegt sicherlich im Interesse unserer Pferdezucht, daÃ? nicht mehr jede Stute
zum Hengst geführt wird, aber ein Stamm bester Zuchttiere mu� der heimischen Landwirtschaft erhalten bleiben.
Die Schweinehaltung, die von jeher ein Haupterwerbszweig unserer Betriebe war, hat sich trotz der Konjunkturschwankungen halten können und wird, auf wirtschaftseigener Futtergrundlage aufgebaut, auch in Zukunft eine sichere Existenzgrundlage unserer Höfe bleiben.
Die vor hundert Jahren noch weit verbreitete Schafzucht hat trotz einer Scheinblüte, die sie im Kriege und in den ersten Nachkriegsjahren erlebte, nicht allein bei uns, sondern in ganz Deutschland an Bedeutung verloren. Infolge der Einfuhr billiger ausländischer Wolle sank der Schafbestand in Deutschland von 28 Millionen im Jahre 1880 auf 3 Millionen im Jahre 1930. �hnliche Rückgänge haben wir auch bei uns zu verzeichnen. Das idyllische Bild des Schäfers mit seiner Herde und seinem Hund ist für immer aus unserem Landschaftsbild verschwunden.
Wohl auf keinem Sektor des landwirtschaftlichen Betriebes sind so gro�e Wandlungen eingetreten wie auf dem Gebiete der Technik. Der durch die Industrialisierung und durch die Landflucht entstandene Mangel an Arbeitskräften zwang den Bauer, immer mehr die menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen, die Arbeit als solche zu erleichtern und zu beschleunigen. Bereits vor der Jahrhundertwende war der Dreschflegel duch die Dreschmaschine, die zunächst durch Pferde getrieben wurde, verdrängt worden. Unsere Jugend kennt nicht mehr den rhythmischen Klang des Dreschflegels, der früher in den Wintermonaten dem bäuerlichen Betrieb das charakteristische Gepräge gab. Das Schnurren und Klingen der Sense und des Sichtes sind durch das Rattern der Mähmaschine abgelöst. Der Düngerstreuer und die Drillmaschine nehmen dem Bauer die mühsame Arbeit des Säens ab. Die Getreideernte wurde in den letzten zwanzig Jahren durch den Einsatz des Bindemäher wesentlich beschleunigt und erleichtert. Durch das Strohgebläse wird das Binden und Wegpacken des Strohes gespart. Nach dem Ausbau des Elektrizitätsnetzes auf dem Lande konnte auch in der Innenwirtschaft unserer Betriebe die tierische Arbeitskraft durch den Elektromotor ersetzt werden. So war es möglich, auch unseren Bäuerinnen, die besonders in den kleinen und mittelbäuerlichen Betrieben sehr in Anspruch genommen sind, bei ihren vielseitigen und mühevollen Aufgaben manche Erleichterung zu verschaffen. Es sei hier nur an die elektrische Hauswasserversorgung und an die elektrisch betriebene Waschmaschine erinnert. In jüngster Zeit hielt der Trecker mit seiner vielseitigen Verwendungsmöglichkeit Einzug in unsere Betriebe. Durch seinen Einsatz werden nicht nur tierische Arbeitskräfte überflüssig, sondern die Arbeitsspitzen können besser bewältigt und gebrochen werden.
Es darf jedoch nicht verkannt werden, da� durch die Anschaffung und Benutzung all dieser Maschinen die Wirtschaftsunkosten ständig gestiegen sind. Die Maschine ist und bleibt daher ein notwendiges �bel aber ohne ihren Einsatz ist unter den heutigen Verhältnissen eine rationelle Landwirtschaft nicht mehr denkbar.
Der wirtschaftliche Aufschwung unserer Landwirtschaft blieb auch nicht ohne EinfluÃ? auf das Marktgeschehen.

Während noch im vorigen Jahrhundert die Betriebe nur das erzeugten, was sie selbst benötigten oder was in der näheren Umgebung abgesetzt werden konnte, muÃ?ten nunmehr andere Absatzgebiete für die mehrerzeugten Produkte wie Vieh. Kartoffeln, Getreide, Milch usw. gesucht werden. Andererseits stieg auch der Bedarf an landwirtschaftlichen Produktionsmitteln wie Kunstdünger und- Saatgut. Diese starken wirtschaftlichen Bindungen an den Markt führten im Jahre 1902 zur Gründung einer bäuerlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft, die somit in diesem Jahre ihr fünfzigjähriges Bestehen feiern kann. In einer fairen Konkurrenz arbeiten Handel und Genossenschaft nebeneinander und schaffen so einen gesunden, im Interesse der Allgemeinheit liegenden Ausgleich.
Zwei Privatmolkereien - Vreden und Ammeloe - betreiben die Be- und Verarbeitung der Milch, was früher Sache der Bäuerin war und ihr bei ihren primitiven Hilfsmitteln viel Arbeit verursachte.
Im Zeitalter der Technik und des Fortschritts stellt der landwirtschaftliche Betrieb auch an das Wissen und Können seines Leiters höhere Ansprüche als früher. Nicht nur Körperkräfte und eine robuste Gesundheit sind die einzigen Voraussetzungen für einen tüchtigen Landwirt. Heute genügt es nicht mehr, wenn der Sohn vom Vater lernt, wie er die einzelnen Arbeiten zweckmä�ig verrichtet, sondern die Vielseitigkeit des landwirtschaftlichen Betriebes erfordert auch ein umfangreiches Wissen.
In klarer Erkenntnis dieser Forderung faÃ?te die Gemeinde Ammeloe nun 9. August 1923 den groÃ?zügigen EntschluÃ?, für ihren bäuerlichen Nachwuchs eine eigene Bildungsstätte zu schaffen. Bereits drei Monate später, am 5. November desselben Jahres, wurde der Unterricht - wenn auch in gemietenen Räumen - mit 35 Schülern eröffnet. Dank der Opferfreudigkeit der Gemeinde Ammeloe konnte die Schule am 4. November 1926 ihr eigenes Heim an der Oldenkotter StraÃ?e beziehen.
Obwohl die Schule mit Rücksicht darauf, daÃ? zum Schulbezirk nur die Gemeinde Ammeloe. die Stadt Vreden und ein Teil des Amtes Stadtlohn gehören, einklassig ist, wurde sie bis heute von 644 Schülern besucht. Da an und für sich zwei Winterhalbjahre für einen vollständig abgeschlossenen Lehrgang erforderlich sind und im Winterhalbjahr 1944/45 kein Unterricht stattfinden konnte, betrug die durchschnittliche Schülerzahl 38 Schüler je Semester. Von den oben genannten 644 Schülern kamen 480 aus dem Vredener Land. Ã?ber 70 Prozent der Schüler entstammen somit der Gemeinde Ammelos und der Stadt Vreden. Die nicht unerheblichen Kosten, die die Gemeinde Ammeloe für die Schule aufgebracht hat und noch aufzubringen hat, kommen also der Allgemeinheit zugute. Denn mancher Schüler hätte bei den ungünstigen Verkehrsverhältnissen wahrscheinlich den Weg zur Schule nicht gefunden, wenn ihm nicht die bequeme Gelegenheit zum Besuch der Landwirtschaftsschule geboten worden wäre. 
Um auch unseren Jungbäuerinnen eine entsprechende Ausbildung für ihren Beruf als Hausfrau und Bäuerin zu vermitteln, wurde im Herbst 1941 der Landwirtschaftsschule eine Mädchenabteilung angegliedert.

Infolge der Kriegsverhältnisse war es der Gemeinde erst im Herbst 1951 möglich, auch dieser Abteilung ein eigenes Heim zur Verfügung zu stellen. Aber nach dem Sprichwort "Was lange währt, wird endlich gut" ist hier dank der Opferfreudigkeit der Gemeinde eine Mädchenklasse entstanden, die in jeder Weise den neuzeitlichen Anforderungen entspricht, ohne Pomp und ohne Luxus. Bis jetzt wurden insgesamt 263 Schülerinnen für ihren zukünftigen Beruf vorgebildet. Von diesen stammten wiederum 70 Prozent aus den Vredener Landen.
Diese kurze Abhandlung soll unseren Vätern zur Ehr' und unseren Nachkommen zur Lehr' geschrieben sein. Denn wahr bleibt, was ein Pionier unserer Landwirtschaft, Max Eyth, in seinem Roman "Der Kampf um die Cheopspyramide" schreibt: "Was ist groÃ?, was ist klein im Lichte des Alls? Sicher ist eins: Ehe vor Jahrtausenden die Pyramide dort drüben stand, ging ein Pflug auf diesem Feld, und wenn sie einst verschwunden sein wird nach Jahrtausenden, noch ein Pflug hier gehen. Ist das kleine Ding nicht fast so ehrwürdig als der stolzeste Bau der Erde?"
Landwirtschaftsrat Jansen